Leute : Roger Bouvier, Rennfahrer aus Antibes
Es gibt sie tatsächlich, diese blinden Momente des Zufalls, sie bescheren himmlisches Glück und bilden die markantesten Stationen eines ganzen Lebens. Für Roger Bouvier geschah das an Orten wie Casablanca, Chamonix, den Pyrenäen und Antibes… Der Rennfahrer gewann 1973 die Rallye de Gaves auf den berüchtigten, kurvenreichen Strassen zwischen Spanien und Frankreich. An der Côte d’Azur gelangte er zufällig an einen Mercedes-Rennmotor, um an der Rallye Monte Carlo teilnehmen zu können und bei einem Eisrennen rettete ihm die moderne Konstruktion seiner Renn-DS das Leben.
Schnelle Autos und kräftige Motoren sind die große Leidenschaft des ehemaligen Rennfahrers Roger Bouvier, seit jeher. Er kennt alle Rallyepiloten, bereits aus der Zeit als er mit der Lautsprecheranlage auf seinem zum Speaker-Van umgebauten Ford Transit sämtliche Rennsportveranstaltungen im Südosten Frankreichs beschallt hatte.
Hauptberuflich war er die letzten beiden Jahrzehnte vor der Pensionierung in der Citroën-Werkstatt an der Autobahn Antibes beschäftigt, sein Arbeitsplatz trug den schönen Namen Garage Riviera. Wenn Kunden mit einem Citroën DS zu ihm an die Werkstatt-Rezeption kamen, war das ein nostalgischer Augenblick: „Ich schaute immer hin, wenn ein DS hereinfährt. Denn mit den schönsten die es jemals gab durfte ich Rennen fahren…“
Restaurierte Renn-DS bei einer historischen Rallye.
Er begann hier im Frühsommer 1975 zu arbeiten, und blieb bis zu seinem Rentenabschied Ende 1996, welcher in einem berauschenden Fest am Heiligen Abend gefeiert wurde. Die letzten Gäste gingen erst am folgenden Morgen, gegen 8 Uhr als die Bäckereien öffneten, um Croissants zu kaufen… Natürlich kam er immer wieder in die Citroën-Werkstatt zurück, so zur Feier des 90-jährigen Bestehens der Marke in Anwesenheit von Rallye-Weltmeister Sébastien Loeb. Am Steuer einer DS nahm er bei diesem Event auch an einer Citroën-Fan-Rallye zwischen Cannes und Monaco teil.
Plakat zum Fest in Antibes bezüglich des 90-jährigen Bestehens der Marke Citroën.
Als es ihn nach Antibes verschlug war er sogleich allseits bekannt, zumal er am örtlichen Vereinsleben aktiv teilnahm und auch Stadionsprecher des Basketballklubs Sharks d‘Antibes war, der damals noch Olympique d'Antibes-Juan-les-Pins Côte d'Azur Basket hieß. Das war zu jener Zeit als Basketballlegende Jean-Claude Bonato, französischer Meister und Nationalspieler, auf dem Höhepunkt seiner Mitte der 60er Jahre begonnenen Karriere, von den Fans aus Antibes vergöttert wurde.
Baskettballlegende Jean-Claude Bonato. Roger war Stadionsprecher und tourte als Speaker in einem umgebauten Ford Transit zu allen Motorsportereignissen im Südosten Frankreichs.
Für Roger Bouvier begann alles damit, dass er sich als Heranwachsender ein eigenes Motorrad baute, später Karosseriebauer wurde, auch Automechaniker, und eine eigene Autowerkstatt in Grenoble eröffnete. Er stammt aus Côte-Saint-André im Département Isère, auf halbem Weg zwischen Grenoble und Lyon. Dort wurde auch der französische Komponist Hector Berlioz im Jahre 1803 geboren.
Roger war dem Imperium aus Star Wars mit seinem fliegenden Motorrad weit voraus, und jetzt scheint es zurück. Eine neue Variante des berüchtigten Speeder-Bikes aus der „Rückkehr der Jedi-Ritter“ von 1983 gibt es seit 2022 zu kaufen, allerdings ein richtig teurer Spass.
Und wie Berlioz, war auch Roger Bouvier ein Avantgardist, war er doch, was sein Eigenbau-Motorrad betraf, seiner Zeit weit voraus. Es genügte ihm nicht nur auf der Straße zu fahren, nein, er wollte damit auch fliegen. Sein Hubschrauber-Motorrad im Eigenbau hob denn tatsächlich ab, flog immerhin 30 m weit, trotz erheblicher Gleichgewichtsprobleme. 1983 kam die Idee ins Kino, als Speeder-Bike in dem legendären Film Star Wars.
Dominique Guichard, Anne-Marie Desvignes, Francoise Conconi, Annick Girard, Marie-Odile Desvignes, Claudine Trautmann und die von Roger Bouvier bereiteten Alpine Renault A110.
Seine kleine Firma in Grenoble ermöglichte es ihm, sich bereits in den 60er Jahren einen Namen im Motorsport zu erwerben, da er als Spezialist für leichte Polyester-Karosserieteile Rennautos merklich schneller machte. Das Outfit der vier Renault Alpine, die gesponsort von einer Zahnpasta-Firma als Frauenteam in der Rallyewelt – zum ersten Mal wieder seit den Damensiegen von Pat Moss und Ann Wisdom – für emanzipatorisches Furore sorgten, wurde ihm anvertraut.
Claudine Trautmann bei der Rallye London - Mexico, Patt Moss mit Ann Wisdom bei der Monte und Michèle Mouton aus Grasse als Alpine-Pilotin, bevor sie die Rallyewelt mit ihren Audis verzauberte.
So kam er auch in Kontakt mit Stuntdrivern, Todesfahrer wurden sie damals genannt, darunter Frank Valverde, den ganz Frankreich bewunderte.
Eine Legende unter den Todesfahrern : Im Juni 1982 kam Frank Valverde bei einem missglückten Stunt in seinem roten Ferrari vor 50.000 Zuschauern im Hafen von Marseille ums Leben.
Mit dem alpinen Skimeister Henri Reitenberger, der die Pisten der Olympischen Winterspiele von Grenoble eröffnete, stellte der erfahrene Pilot einen Geschwindigkeitsrekord auf. Der Skifahrer war mit einem Drahtseil an einen DS 23 angebunden, ein Prototyp mit 4-Vergaser-Anlage, mit dem Frankreichs neunfache Meisterin Claudine Trautmann zuvor an der Rallye London-Mexiko teilnahm. Auf vereister Waldpiste des Vercors, genauert gesagt in Méaudré, legte das Gespann einen Kilometer mit einem Tempo von über 135 km/h zurück.
Eisrennen in den französischen Alpen, Roger Bouvier am Steuer eines Citroën DS.
Bouvier fuhr unzählige Rennen, steuerte schon Ford Mustang, GT 40, Porsches, Alpine, Cooper, nahm mit einem Mercedes 250 an der Rallye Monte-Carlo teil. Dazu kam er als er seinen Urlaub in Golfe-Juan verbrachte und er jemanden kennenlernte, der bei Mercedes arbeitete und ihm ermöglichte, einen speziellen Mercedes-Rennmotor zu erhalten.
Roger Bouvier am Steuer des legendären Porsche 908.
Als 30-jähriger durfte er als erster einen Fournier-Marcadier Rennwagen steuern. Beim 24-Stunden-Rennen von Chamonix 1972 raste er mit diesem auf den dritten Platz und stand damit auf dem Podium, Sieger wurde Andruet auf einem Renault Alpine 110. Hier in Chamonix traten auch Stars wie Jean Alesi, Nigel Mansell, Pierre Jarier oder Dechavanne gegen die auf Eisrennen spezialisierten Rennfahrer wie Bouvier an.
Rennstrecke von Chamonix, Roger Bouvier kam beim 24-Stunden-Rennen 1972 aufs Podium.
Das war Pionierarbeit, läutete doch genau dieser kleine, nur 360 kg schwere Rennwagen mit einem Renault 8 Gordini-Mittelmotor von 1255 cm3 und 105 PS des Rennwagenbauers Fournier-Marcadier aus Lyon, das Projekt einer neuen, preisgünstigen Einstiegsrennklasse, genannt „Formule Nationale“ ein, woraus sich zunächst die „Formul e France“, und später die „Formule Renault“ entwickelte, welche bis 2020 existierte. Das Prinzip war es,für Nachwuchsfahrer günstige Einstiegsfahrzeuge zu bieten. Als Kit kostete ein Fournier Marcadier 1967 gerade mal 15.ooo Francs, und es wurden pro Jahr etwa 20 Fahrzeuge gefertigt. Eine ganze Rennsaison kostete zuletzt etwa 11o.ooo €.
Die erste Fournier-Marcadier Bolide von 1966, an der André Marcadier an den letzten Einstellungen im Cockpit tüftelt, Bruno Chamabas 1969 und der letzte Marcadier-Rennwagen mit einem 2-l-Hart-Motor, am Steuer Roger Rivoire.
Seinen größten Erfolg verbuchte er allerdings mit seinem Citroën DS-Prototyp bei der Rallye de Gaves im Jahre 1973 : „Mein Renn-DS mit Doppelvergaseranlage schluckte 28 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Für Schneerennen hatte ich vorne Reifen mit 640 Spikenägeln, hinten außen einhundert weniger, wegen optimalerem Kurvenverhalten.“
Renn-DS mit Doppelvergaser, 28 Liter auf 100 Kilometer.
Eine dieser Rallyes „Neige-Glace“ hätte ihm beinahe das Leben gekostet. „Mein Copilot gab die Anweisung Kurve rechts, 120 km/h. Doch hatte er sich in der Zeile geirrt. In Wirklichkeiten durchrasten wir eine Haarnadelkurve, di man höchstens mit 60 Sachen packen konnte.“ Und so schleuderte Bouviers DS von der Bergstraße und rutschte über die Wipfel des schneebeladenen Jungwaldes steil den Abschuss hinunter. „Wir sprangen darüber wie ein flacher Stein auf glatter Wasseroberfläche.“ Das Auto tänzelte dank des glatten Bodenblechs wie ein Schlitten übers Gehölz und landete praktisch schadlos auf der Straße weit darunter: „Jeder andere Wagen dieser Epoche, hätte sich in den Ästen mit einem schrecklichen, womöglich tödlichen Unfallende verfangen. Mein DS verlor jedoch nur einen Teil des Auspuffs.“
Traumauto Panhard Junior.
Seine zweite Leidenschaft heißt Panhard Junior. Es handelt sich um diesen heute so seltenen kleinen französischen Sportwagen, immer noch ein richtiger Hingucker. Er kam zum ersten Mal mit dem Fahrzeug in Berührung als er seinen Militärdienst 1956 bei der französische Luftwaffe im marokkanischen Casablanca ableistete. Einer seiner Kameraden hatte eine Affäre mit der Ehefrau des Colonels, und wurde wohl deshalb von einem Tag zum anderen nach Algerien versetzt. So hat er Roger seinen Panhard Junior anvertraut, bis der strafversetzte Casanova wieder zurückkam. Nach seiner Militärzeit ging er nach Frankreich zurück und erwarb bereits zwei Jahre später von seinem ersparten Geld einen eigenen Panhard Junior, den er dann wieder verkaufte, war er doch zwischenzeitlich Vater eines ebenso autobegeisterten Sohnes geworden. Jahrzehnte später, in den frühen 90er Jahren kaufte er sich wieder einen, den eben sein Sohn in der Schweiz aufgestöbert hatte.
Roger Bouvier in seinem komplett restaurierten Panhard Junior.
Als mir Roger das Auto damals zum ersten Mal zeigte, war es in einem mehr als erbärmlichen Zustand, total verrostet, nicht bloß die Bodenbleche. Der gesamte vordere Teil hing irgendwie schief am von Korrosion zerfressenen Rest. Das schreckte Bouvier nicht ab, und er ließ sich in seiner kleinen Hobby-Werkstatt, gleich neben der großen Citroën-Werkstatt, auf eine Totalrestaurierung ein. Die sollte 10 Jahre dauern, hunderte und aberhunderte Arbeitsstunden. Doch das Ergebnis war beeindruckend, kostete aber viel Geld, insgesamt eine stattliche fünfstellige Summe Er ließ selbst Reifen von Michelin speziell für seinen Panhard Junior anfertigen, hatte aber auch das Glück, dass ihm ein befreundeter Karosseriebauer, der ihm passgenaue Bodenbleche anfertigte, eine Menge spezieller Ersatzteile zukommen ließ, die in seiner Scheune auf dem Lande verstaubten. Der Panhard Junior wurde Anfang der 50er Jahre in kleiner Stückzahl von insgesamt nicht einmal 5000 Exemplaren gebaut, heute gibt es davon vielleicht noch zehn Stück. Der minimalistische Roadster hatte einen 2-Zylinder Boxermotor, der recht kompliziert einzustellen und zu unterhalten war, aber viel Fahrvergnügen bot und die Haare bei einer Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h zerzausen ließ, ob das Cabrio-Verdeck geschlossen oder offen war. Selten kommen diese Roadster zum Verkauf und erreichen bei Versteigerungen gut 2o.ooo €.
Prospekt Panhard Junior.
Bis heute ließ ihn seine Leidenschaft nicht mehr los, ganz im Gegenteil. Wenigstens einmal pro Jahr fährt er hoch nach Castellane, aber nicht etwa, um die Gorges du Verdon zu bewundern, nein, nur um nachzuschauen, was es Neues im Citroën-Museum seiner Freunde Yoëlle und Henri Fradet, dem seit Jahrzehnten unangefochtenen Spezialisten für historische Citroën im Südosten Frankreichs, zu sehen gibt.
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