Februarkälte : Die Hiebe der alten Frau
Die letzten drei Tage des Februars und die ersten Tage im März wird es oft richtig kalt an der ganzen Provence, bis hin zur Küste. Die Provenzalen nennen dieses Wetterphänomen „Li reguignado de la Vièio“, auf französisch „les ruades de la Vieille“. Übersetzt heisst das soviel wie „Hiebe der alten Frau“.
Eine uralte Legende gibt dafür die Erklärung : Einst war da irgendwo in einem ländlichen Dorf des Hinterlands eine betagte Frau, die sich über das außergewöhnlich milde Wetter Ende Februar mit einem Spottgesang mokierte: „Adiéu ! Febrié, me ti febrerado. M’as fa ni pèu, nu pelado !“, was übersetzt heisst „Adieu Februar, mit deinen Wetterschlägen hast du mich weder gehäutet noch geschält“. Bekanntlich kann es ja auch im Winter durch die Kälte zu schuppiger, gereizter Haut kommen, die sich zum Regenieren abschält. Zudem verlor in diesem Februar niemand Mutterschafe oder Lämmer, wie sonst so oft bei eisiger Kälte.
Sobald der Februar diese Worte gehört hatte, ging er zu seinem Kumpel Mars, um ich zu bitten ihm drei Tage im März zu leihen. Februar wollte sich nämlich an dem alten, hämischen Weib gründlich rächen, ihr Haut und Fell abziehen.
Gesagt getan, und es herrschte tatsächlich vom 26. Februar bis 3. März eine eisige Kälte, die grosse Schäden anrichtete und die Schafherde der alten Frau dezimierte.
Winter 1956 in Antibes
Und seither bricht in den letzten Tage des Februars und den ersten des Monat März in der Provence eine raue Winterperiode ein, Jahr für Jahr.
Winter 1985 in Antibes
Winter 1985 in Juan-les-Pins
Tatsächlich bezeugen historische Wetterbeobachtungen für diese Tage häufige Kälteeinbrüche. Unter der alten Frau, la Vieille, dieser Legende muss man symbolisch den noch anhaltenden Winter des vergangenen Jahres, eben la vielle année, verstehen, ein Winter der zäh durchhält. Nach einer provenzalischen Wetterregel erhofften, vielmehr erflehten die Provenzalen schon ab dem 5. Februar, dem Fest der Heiligen Agathe, dass der Winter doch endlich zu Ende gehen sollte. Und während sie begannen in ihren Gärten Lauch zu säen sangen sie „Agueto, emporto la fres dins ton saqueto !“, also übersetzt „Agathe steck doch die Kälte in deinen Sack“.
Doch in der Provence, und das weiss heute jeder, hört der Winter erst Anfang März auf, wenn dann „Lou mes di foui“, der Monat der Narren, beginnt. Aber das wiederum ist eine ganz andere Geschichte…
©Johannes Samuel, 2023